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Interview mit Frau Dr. Bär, Diplomgerontologin

Herr Dr. Czeschlik, Beiratsvorsitzender des SingLiesel-Verlags:

Frau Dr. Bär, Sie sind Diplomgerontologin und haben an der Universität Heidelberg eine Doktorarbeit angefertigt mit dem Titel "Sinn erleben im Angesicht der Alzheimerdemenz" - was ist eigentlich der Unterschied zwischen Alzheimer und Demenz?

Frau Dr. Bär, Diplomgerontologin:

Wenn wir von Demenz sprechen, dann meinen wir zunächst ein Syndrom mit bestimmten Symptomen, die in Kombination auftreten und die wir als typisch erleben.

Dazu gehören zum Beispiel die Vergesslichkeit oder Orientierungsstörungen. Dazu gehört, dass sich jemand nicht mehr so gut zurechtfindet in einer Umgebung, die eigentlich vertraut ist, oder dass man Namen von bekannten Personen vergisst, oder dass man sich an nahe zurückliegende Ereignisse nicht mehr erinnern kann. Diese Symptome treten über einen längeren Zeitraum auf und verschwinden auch nicht wieder.

Dass jemand solche Symptome einer Demenz entwickelt, kann unterschiedliche Ursachen haben.

Eine Demenzerkrankung, die hinter solchen Veränderungen steht, ist die sogenannte Alzheimer-Demenz. Sie ist nicht die einzige, aber eine sehr häufig auftretende Form der Demenz.

Unter Alzheimer-Demenz versteht man Veränderungsprozesse im Gehirn, die lange vor dem Auftreten der ersten Symptome bereits beginnen. Sie kann sich über Jahrzehnte hinweg entwickeln und irgendwann bemerkt man dann erste Veränderungen im Verhalten und bspw. Schwierigkeiten, den Alltag zu bewältigen.

Demenz ist also eher der übergeordnete Ausdruck, dahinter stehen verschiedene Erkrankungen. Eine davon ist die Alzheimer-Demenz, aber es gibt auch andere Demenzformen.

Herr Dr. Czeschlik:

Wenn solche Symptome immer stärker werden, wird das Leben der betroffenen Menschen in unserer Gesellschaft und auch unser Leben mit diesen Menschen immer schwieriger. Wie kann man Demenzkranken ein möglichst gutes Leben bieten? Was kann man für sie tun?

Frau Dr. Bär:

Zunächst mal ist es wichtig, eine Normalität im Umgang aufrecht zu erhalten. Das ist nicht leicht, denn häufig verändern sich Menschen im Laufe der Demenz. Als Angehöriger bin ich dann zum Beispiel damit konfrontiert, dass jemand mich permanent dasselbe fragt, oder dauernd wegläuft, oder z.B. bei vermissten Gegenständen unterstellt: "Ich hab das nicht verlegt. Das ist geklaut worden."

Das bedeutet, dass auch der Demenzkranke Veränderungen bemerkt. Da sollte man versuchen diesem Menschen trotz allem zu signalisieren: Du bist für mich trotzdem ein Gegenüber, ich nehme dich ernst, ich halte die Kommunikation aufrecht.

Einen weiteren Bereich bilden die Alltagstätigkeiten. Demenz entwickelt sich häufig schleichend. Zu Beginn kann man noch ganz viel alleine bewältigen, braucht aber vielleicht gewisse Hilfestellungen im Haushalt.

Das Ausüben einer sinnvollen Tätigkeit in Gemeinschaft mit anderen tut einem Demenzkranken ganz besonders gut. Damit ist in jedem Fall ein Beitrag zur Lebensqualität geboten. Jemand ist  beispielsweise Mitglied in einem Verein und wird dort weiterhin akzeptiert, auch wenn er etwas anders ist als früher, im Chor vielleicht nicht mehr so toll mitsingen kann oder im Sportverein nicht mehr mithalten kann - dabei sein ist das Wichtigste und da gibt es viele Möglichkeiten.

Vom Nuffield Council on Bioethics in England wurde ein demenzethischer Bericht herausgebracht, der klar besagt, dass die Erfahrungen im Alltag und das Gefühl akzeptiert zu sein, ganz entscheidend dazu beitragen, ob ein Leben mit Demenz mehr oder weniger schwierig ist.

Herr Dr. Czeschlik:

Gibt es irgendwelche Grundregeln im Umgang mit Dementen? Dinge, die ich nicht tun sollte oder Dinge, die ich unbedingt tun soll? Darf man dem Demenzkranken zum Beispiel sagen, dass er Unrecht hat?

Frau Dr. Bär:

Es hat eine Weile lang Faustregeln gegeben; Man hat gesagt: "Korrigiere nie einen Menschen mit Demenz, widersprich ihm nie." Ich persönlich bin da ein bisschen vorsichtiger geworden, weil es zur Alltagsnormalität gehört, dass man sich zwischendurch auch mal streitet. Es gibt inzwischen Expertenmeinungen, die sagen, man muss versuchen situativ angemessen zu reagieren; und wenn es passt, warum soll ich mich nicht auch mal mit meinem Partner streiten, der eine Demenz hat? Also es geht, wie gesagt, um Normalität. Aber natürlich gilt es immer zu berücksichtigen, dass die Fehlleistungen des Anderen keine Boshaftigkeiten sind. Demenzkranke wollen einem nicht schaden, sondern sie haben einfach durch ihre Demenz eine bestimmte Behinderung, die es ihnen schwerer macht, ihr Leben und ihren Alltag zu verstehen. Da brauchen sie konkrete Hilfen. Es ist wichtig diesen Grundsatz im Blick zu halten und nicht zu vergessen, dass der andere es schwerer hat selbstverständlich mit seinem Alltag umzugehen.

Ich hatte viel mit Menschen mit fortgeschrittener Demenz zu tun und in den Forschungsarbeiten gilt es immer offen zu sein für das, was jetzt eventuell möglich ist. Ich möchte also noch einen weiteren Grundsatz formulieren: Man sollte nie das Gefühl haben den Menschen zu 100 Prozent zu kennen oder zu denken, da ist nichts mehr, womit mich dieser Mensch noch überraschen kann. Das kann man so nie sagen. Man muss immer eine Offenheit dafür haben was jetzt im Moment passieren könnte oder was jemand in dem Moment von sich zeigt, womit ich nicht gerechnet hätte.


Herr Dr. Czeschlik:

Können bei dementiell erkrankten Menschen auch Persönlichkeitsveränderungen auftreten? Ändern sich Vorlieben oder bleiben diese Grundstrukturen erhalten?

Frau Dr. Bär:

Das kann man gar nicht pauschal sagen. Das ist das Spannende, wenn man einen Menschen mit Demenz im Verlauf der Erkrankung begleitet. Natürlich gibt es Lebensthemen, die bleiben häufig bis zum Schluss erhalten. Beispielsweise ein naher Angehöriger, bei dem das von Demenz betroffene Familienmitglied nicht mehr weiß, dass das sein Sohn ist, aber trotzdem genau spürt, dass es sich um eine Person handelt, die ihm vertraut ist und in irgendeiner Form sehr nahesteht.

Herr Dr. Czeschlik:

Woran erkenne ich, dass der Demenzkranke das spürt?

Frau Dr. Bär:

Das sind oft kleine Zeichen. Etwas, das Menschen mit Demenz oft bis ins letzte Stadium der Krankheit erhalten, ist die Fähigkeit Emotionen auszudrücken. Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz kann ich das zum Beispiel an einem Lächeln sehen oder indem sich der Betroffene mir zuwendet.

Lange kann ich es auch an der Art und Weise erkennen, wie oder mit welchen Worten jemand auf mich reagiert und wie man kommuniziert. Aber auch wenn vieles nicht mehr richtig funktioniert, merkt man oft noch an der Mimik oder an der Körperhaltung, wie es dem anderen gerade geht und ob er sich wohl fühlt. Hat er Interesse an mir und fühlt er sich durch meine Anwesenheit angesprochen? Ein Händedruck oder der Blickkontakt sind Zeichen, die mir wichtige Hinweise geben können.

Herr Dr. Czeschlik:

Sie denken, die Emotionalität ist nicht so sehr beeinträchtigt, wie man das vielleicht von außen angenommen hat?

Frau Dr. Bär:

Ja, die Emotionalität von Menschen mit Demenz ist ein ganz wichtiger Zugang.

Es gibt ein sehr schönes Zitat einer Angehörigen, welches in der Zeitung "Die Zeit" veröffentlicht wurde. Die Frau berichtet von ihrer Mutter und sagt, dass das Herz nicht dement wird.

Über die Gefühlsebene kann man Menschen mit Demenz fast immer erreichen. Man muss manchmal viel Geduld haben, wenn jemand sehr schwer dement ist, aber man darf nicht aufgeben.

Herr Dr. Czeschlik:

Man hört und liest in letzter Zeit immer häufiger über Demenz. Es gibt Prominente, die, entweder weil sie selbst dement sind oder weil sie demente Eltern haben, darüber berichten. Ist das ein Trend, dass man jetzt einfach mehr darüber spricht oder gibt es tatsächlich mehr Demenzkranke als früher und wenn ja, warum ist das so?

Frau Dr. Bär:

Wir leben ja mittlerweile in einer sogenannten "Gesellschaft des langen Lebens", das heißt, wir werden immer älter und unsere durchschnittliche Lebenserwartung steigt.

Das größte Risiko im Alter an Demenz zu erkranken ist eben das Lebensalter selbst. Der Anteil der Menschen mit Demenz steigt von etwa 1 % bei der Gruppe der über 60-jährigen auf über 40 % bei der Gruppe der über 90-jährigen. Daran sieht man, dass die Anzahl der Menschen mit Demenz in unserer Gesellschaft zunimmt und das wird sich auch weiter fortsetzen.

Gleichzeitig ist es tatsächlich so, dass Demenz in unserer Gesellschaft ein Thema geworden ist und das ist gut so. Als ich vor 15 Jahren mit dem Thema angefangen habe, hat eigentlich niemand darüber gesprochen. Mittlerweile gibt es im Fernsehen Talkshows, Filme, es gibt bekannte Bücher über Demenz und - wie sie sagen - auch Prominente, die betroffen sind und sich "outen". 

Außerdem gibt es Initiativen in den Kommunen besser mit Demenz umzugehen. Das ist sehr wichtig um Betroffene und ihre Familien aus der Isolation zu holen. Denn wenn man schon mal von diesem Schicksal betroffen ist und mit der Demenz leben muss, dann ist es doppelt hart, wenn sich dann auch noch die Umgebung zurückzieht, weil sie nicht weiß, wie sie damit umgehen soll.

Deswegen ist es ganz wichtig, dass Demenz enttabuisiert wird. Wir haben sicherlich noch einen weiten Weg vor uns, aber es sind gute Schritte gemacht worden in den letzten Jahren.

Herr Dr. Czeschlik:

Was waren Ihre Beweggründe, unserer Bitte, dem Expertenteam beizutreten, Folge zu leisten? Warum machen Sie im Expertenbeirat der SingLiesel mit?

Frau Dr. Bär:

Was mich an der SingLiesel wirklich begeistert hat, ist ihre ganz klare Ausrichtung auf die Situation und die Bedürfnisse eines Menschen mit Demenz.

Ich kenne viele Betreuungsangebote im pflegerischen, sozialbetreuerischen Bereich, bei denen Menschen mit Demenz aus bestimmten Betreuungsgruppen herausfallen. Aber hier ist nun wirklich etwas, das an den Möglichkeiten, die ein Mensch auch im fortgeschrittenen Stadium der Demenz hat, anknüpft, nämlich die Fähigkeit, sich an Melodien zu erinnern. Die Bedeutsamkeit, die Melodien in Kindheit und Jugend hatten, wird wieder aktiviert und damit wird die Möglichkeit geschaffen, das aufzugreifen.

Die SingLiesel ist einfach auf die Bedürfnisse von vielen demenzkranken Menschen zugeschnitten und das gefällt mir sehr gut, weil es schwer ist, für solche Personen diesen Perspektivwechsel vorzunehmen. Wir versuchen uns oft in Menschen mit fortgeschrittener Demenz hineinzuversetzen und denken dann: „Das kann ich mir ja gar nicht vorstellen.“, „Da geht ja bestimmt nichts mehr.“ oder „Das ist ja gar nicht so, wie es Forschungsarbeiten zeigen.“

Aber wichtig ist eben nicht nur, die Demenz zu sehen, sondern auch, was die betroffene Person noch für Bezüge hat und da anzusetzen. Die SingLiesel ist eine konkrete Hilfe für Pflegende, für Angehörige und Betreuer, die einen Weg oder eine Brücke zu der betroffenen Person finden müssen. Wenn ich zum Beispiel nicht mehr mit der Person reden kann, dann werden viele ganz hilflos und dann sitzt man nebeneinander und weiß nicht, wie man die Zeit zusammen verbringen soll. Wenn ich dann ein Buch wie die SingLiesel habe, kann ich über dieses Medium in Kontakt treten. Ich denke, das ist etwas, das vielen Menschen, die mit Demenz in irgendeiner Weise zu tun haben, eine große Hilfe ist.

Herr Dr. Czeschlik:

Wir danken Ihnen jedenfalls sehr für Ihre Mithilfe, Ihre Mitarbeit in unserem Team und wir danken Ihnen auch für dieses Gespräch.

Frau Dr. Bär:

Bitteschön.

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