Höchste Zeit, dass der Weihnachtsbaum endlich abgeräumt wird, dachte Greta. Die Nachbarin hatte ihren Baum gleich nach Silvester weggeschafft und machte sich schon lustig über sie.
In Gretas Haus stand der Christbaum noch unverändert, obwohl sogar der Dreikönigsfeiertag schon vorbei war. „Die Kinder wollen ihn so gern noch eine Weile behalten“, rechtfertigte Greta sich vor der Nachbarin. Sie hatten in diesem Jahr ein schiefes, aber sehr dichtes Exemplar, eine Tanne. Es war ein wunderschöner Nachmittag gewesen, als Greta mit den Kindern den Baum schmückte. Sie behängten ihn mit den Strohsternen, die Lisa im Kindergarten gebastelt hatte; Lukas hatte sich Zimtsterne gewünscht, hier und da hing ein Lamettafaden. Oben auf der Spitze thronte der uralte Rauschgoldengel von Omi. Der Engel sah von Jahr zu Jahr mitgenommener aus, aber die Familie mochte ihn genauso, wie er war.
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Der Weihnachtsschmuck bei Gretes Nachbarin sah ganz anders aus: Sie hatte jedes Jahr einen perfekt geschmückten Baum, bei dem die Farben der Kugeln zu den Kerzen passten. Greta seufzte vor sich hin: „Unserer ist halt so eine Promenaden- Mischung.“ Heute Morgen neckte die Nachbarin Greta schon wieder damit: „Wenn du den Baum jetzt nicht bald abräumst, kannst du ihn gleich bis zum nächsten Weihnachtsfest stehen lassen.“ Insgeheim gab Greta ihr ja Recht, der Baum stand inzwischen allen im Wege. Und längst verlor er die Nadeln.
Sie gab sich also einen Ruck und holte die Schachtel aus dem Keller, in der sie immer den Christbaumschmuck aufbewahrte. Als ihr Mann nach Hause kam, rief sie ihm gleich zu: „Karl, lass uns heute Abend endlich den Christbaum abräumen. Ich kann ihn langsam nicht mehr sehen. Weihnachten ist ja schon lange vorbei!“ „Ooch, der sieht doch noch gut aus!“, murmelte Karl und machte es sich auf der Couch vor dem Fernseher bequem. Es lief gerade eine Nachrichtensendung. Der Sprecher sagte: „Immer mehr Familien behalten ihre Christbäume bis Mariä Lichtmess am 2. Februar.“
Karl und Greta sahen sich an: Das war ja erst in zwei Wochen! Greta setzte sich zu Karl aufs Sofa, sie tranken ein Glas Wein und schauten fern. Ein abgeknickter trockener Zweig vom Christbaum hing schon vor der Mattscheibe, aber das störte sie gar nicht!